Einander vergeben

Autor: Markus Rex

 

Epheser 4:32

Seid aber gegeneinander freundlich und barmherzig und vergebt einander, gleichwie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

 

Ein aufrechter Nachfolger Jesu möchte von Herzen vergeben – das setze ich gleich am Anfang voraus. Trotzdem ist dies im Leben vieler Christen eines der schwierigsten Kapitel. Das kann verschiedene Ursachen haben. So wird der christliche Wandel in der Liebe Gottes mit softigem Verhalten verwechselt oder mangelndes Wissen darüber, was Vergeben tatsächlich bedeutet – und was es nicht bedeutet oder Gläubige fühlen sich nicht in der Lage zu vergeben, obwohl sie willens sind …

Lasst uns nun wesentliche Punkte zu Vergebung betrachten, die manchmal unterbelichtet werden:

 

1. Du bist fähig!

Du kannst vergeben! Gott erwartet von uns nichts, was wir nicht wirklich tun können und was Er nicht auch selbst getan hat. Gott hat uns alles, was wir Ihm und anderen Menschen angetan haben, vergeben. Nun ja, sagst du vielleicht, Gott ist eben Gott. Er hat ganz andere Fähigkeiten. Ja genau, und diese Fähigkeit – Seine Liebe – hat Er auch uns gegeben (Röm.5:5; 1.Pe.4:8; 1.Ko.13:5). Anderen zu vergeben ist eine der größten Manifestationen der Liebe Gottes.

 

2. Vergeben heißt vergessen!

Vergeben ist jedoch keine Amnesie. Wir haben ein Gedächtnis, d.h. die Vergangenheit ist in unserem Kopf gespeichert. Wir brauchen also nicht zu erschrecken, wenn alte Erinnerungen plötzlich wieder hoch kommen

Vergessen im Bezug auf Vergeben heißt ganz einfach, der anderen Person diese Angelegenheit niemals wieder vorzuhalten. Wir sollten weder darüber nachgrübeln, noch es vor anderen ausbreiten. Die Sache ist für uns nicht mehr relevant, sie wird von uns nicht mehr vorgeholt.

“Vor allem aber habt innige Liebe untereinander; denn die Liebe wird eine Menge von Sünden zudecken (Amp.: nicht länger beachten)” /1.Petr.4:8.

 

3. Das Gefühl zieht nach!

Manche Christen vergeben der entsprechenden Person die selbe Sache immer wieder, in der Hoffnung, dass sich das verletzte Gefühl irgendwann beruhigt hat. So jemand handelt zu sehr gefühlsbezogen. Echtes Verzeihen hingegen geschieht im Glauben. So wie wir Gottes Erlösung einschließlich der Vergebung der Sünden nur im Glauben annehmen können (unabhängig von unserem Gefühl), können wir anderen auch nur im Glauben vergeben. Das bedeutet, es muss einen konkreten Zeitpunkt geben an dem wir sagen können: “Ich habe diesem oder jenem vergeben!”. Glauben heißt weiter, dabei zu bleiben, auch wenn wir es gegenwärtig noch nicht sehen oder fühlen. In dieser kritischen Phase des Glaubens brauchen wir den richtigen Blickwinkel.

Groll gegen jemanden zu hegen, ist wie eine Gerichtsverhandlung, die innerhalb deiner eigenen Person abläuft. Du bist Kläger und Richter in einer Person, der Beschuldigte wird gar nicht erst vorgeladen. (Oftmals sind Menschen sauer auf jemanden, ohne dass der andere davon weiß.) Der einzige Verhandlungspunkt ist dein verletztes Gefühl. Es ist nicht schwer zu erraten, wie solch ein Prozess endet.

Wenn du aber dem anderen von Herzen vergeben hast, verläuft die ganze Verhandlung anders. Dein verletztes Gefühl wird als Beweis nicht zugelassen, weil Vergebung zugesprochen wurde. Hingegen wird ein anderer Fakt beleuchtet: Die Liebe Gottes hat dein Herz erfüllt. Diese Liebe deckt alles Fehlverhalten zu. Angesichts dieser neuen Sachlage entscheidet der Richter (dein Wille), dass der Angeklagte freigesprochen und der Prozess eingestellt wird. Das Gefühl ist jetzt vielleicht immer noch verletzt, aber es darf dein Verhältnis zum Mitmenschen nicht mehr dominieren. Das Gefühl zieht dann schließlich nach.

Beachte: Unsere Gefühle folgen immer unserer Entscheidung!

“Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen (bzw. nach unseren Gefühlen)” / 2.Kor.5:7.

 

4. Es gibt Konsequenzen!

Manchmal bleiben Konsequenzen, bzw. Schäden zurück. Bspw. leihst du dein Auto einem Freund, der damit einen Unfall verursacht. Dir entstehen große Unannehmlichkeiten und Kosten, und du bist ärgerlich darüber. Weil er aber dein Freund ist, verzeihst du ihm. Der Ärger legt sich, aber die Reparaturkosten fallen immer noch an. Wer kommt nun für den Schaden auf? In solchen und ähnlichen Fällen gibt es einige Unsicherheiten unter Christen. Hierauf gehe ich am Ende noch genauer ein.

Ein Fehlverhalten anderen gegenüber kann also Konsequenzen nach sich ziehen, die wir in folgende Kategorien einteilen können:

 

A) Natürliche Konsequenzen nach dem Ursache – Wirkung Prinzip.

Jemand verursacht durch Fehlverhalten einen materiellen oder körperlichen Schaden. Und für einen entstandenen Schaden muss jetzt jemand aufkommen.

B) Juristische Konsequenzen.

Wenn jemand an dir, deiner Familie oder deinem Eigentum eine Straftat begeht, reicht es in der Regel nicht aus, ihm mal eben zu verzeihen und ihn dann laufen zu lassen. Je nach Sachlage sollten wir die Person sogar anzeigen und wenn nötig auch gegen sie aussagen, damit durch falsch verstandene Liebe nicht noch andere Menschen in Gefahr kommen.

C) Erzieherische Konsequenzen.

Damit ein Fehlverhalten verändert wird, sind ggf. erzieherische Maßnahmen nötig, die eindringlich und konsequent sind, z.B. Bußgelder. Genauso müssen in der Kindererziehung geeignete Maßnahmen ergriffen werden, auch wenn die Eltern ihren Kindern (selbstverständlich) schon verziehen haben.

 

5. Vergebung bedeutet nicht automatisch auch Versöhnung!

Vergebung kann einseitig erfolgen. Zur Aussöhnung, d.h. zur Wiederherstellung einer Beziehung braucht es in jedem Fall beide Seiten. Dazu muss jeder seinen Teil der Schuld einsehen, um Vergebung bitten und wenn nötig, sein Verhalten ändern (Mt.5:23ff.). Wenn einer sich dagegen sträubt, kann der andere ihm zwar vergeben, aber die Beziehung bleibt dennoch gestört. Wenn bspw. ein Mann Ehebruch begeht, kann seine Frau ihm das verzeihen. Echte Versöhnung jedoch ist nur möglich, wenn auch der Mann sie wirklich will. Er muss echte Reue zeigen mit dem Resultat, dass er sich konsequent von seiner Liebschaft trennt und ganz und gar zu seiner Frau zurückkehrt.

 

6. Verlorenes Vertrauen muss erst wiedergewonnen werden!

Eine zerstörte Beziehung hat auch mit Vertrauensverlust zu tun. Nach erfolgter Aussöhnung muss das gegenseitige Vertrauen oft erst wieder in einem mehr oder weniger langen Prozess des Miteinanders neu wachsen. Auch hier werden manchmal grobe Fehler begangen. Wenn jemand Geld unterschlagen hat, kann man ihm nicht sofort wieder die Buchführung der Gemeinde übertragen. Ja, gefallene Menschen sollten eine neue Chance bekommen. Diese führt aber durch eine Bewährungszeit hindurch. Siehe die Qualifikationen für bewährte Mitarbeiter: 1.Tim.3:1-13.

 

7. Die moralische und die materielle Seite!

Die moralische Seite umfasst Dinge wie Verletzungen, Beleidigungen, Enttäuschungen, Ungerechtigkeiten, etc.. Wenn aber durch mutwilliges oder fahrlässiges Verhalten oder aus Versehen ein äußerer und messbarer Schaden verursacht wurde, betrifft dies die materielle Seite.

Mancher Christ fühlt sich moralisch in Druck, weil er meint, Vergebung beinhaltet auch den Verzicht auf Schadenersatz, besonders wenn es Glaubensgeschwister betrifft. Der Druck wird dadurch noch verstärkt, wenn der Schaden sein eigenes Budget übersteigt.

Ist ein Schaden entstanden, müssen wir zunächst einmal die moralische und die materielle Seite auseinander halten. Dem anderen vergeben bedeutet eben nicht automatisch, dass man auch auf die Schadensregulierung verzichtet.

 

Nebenbei bemerkt: Es ist interessant, dass die Bibel in Rechtsfragen unser Verhalten als Glaubensgeschwister untereinander von unserem Verhalten der Gesellschaft gegenüber unterscheidet. So sollen Gemeindeglieder untereinander sich lieber Unrecht tun lassen, wenn sie es nicht unter sich selbst klären können, als vor einem weltlichen Gericht zu streiten (1.Kor.6:1-8). Auch in der Bergpredigt geht es zum großen Teil um das Verhalten der Jünger Jesu untereinander, z.B. “die andere Backe hinhalten” (Mt.5:39), und weniger um unser Verhalten gegenüber der “Welt”.

 

Vergebung gehört in den großen Bereich der zwischenmenschlichen Beziehung. Indem wir “einander von Herzen vergeben” (Eph.4:32), sollen gespannte Beziehungen wieder harmonisch werden. Wenn wir dem anderen vergeben, betrifft das hauptsächlich das Fehlverhalten und die dadurch verursachten Verletzungen und Enttäuschungen, eben die moralische Seite. Hier werden die “Schulden” erlassen. Am Gleichnis vom Schalksknecht will ich das noch etwas genauer erläutern.

 

Das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht – Matthäus 18:21-35

Jesus will, dass wir einander die Verfehlungen vergeben (v.21 u. 35). Um das zu verdeutlichen, vergleicht Jesus die moralische Schuld mit finanziellen Schulden (v.24 u. 28). Der König erlässt dem Knecht den riesigen Schuldenberg, weil der Knecht nicht in der Lage ist, zu bezahlen (v.27). Die Aussage dieses Gleichnisses ist: Gott hat uns die Sünden vergeben, die wir Ihm angetan haben. Genauso sollen wir die Sünden vergeben, die andere uns angetan haben (v.33).

Wir müssen hierbei beachten, dass Jesus nicht explizit über den Umgang mit Geld, bzw. Schulden spricht, sondern es lediglich als Vergleich heranzieht. Aus diesem Gleichnis dürfen wir also nicht herleiten, dass, weil Gott uns die Sünden vergeben hat, wir auf Geld verzichten sollen, dass uns von anderen rechtmäßig zusteht. Z.B. vom Arbeitgeber, der uns seit 4 Monaten den Lohn nicht gezahlt hat – ein Betrag, der etwa den 100 Denare in diesem Gleichnis entspricht – also Geld, das wir zu unserem Lebensunterhalt dringend benötigen.

Anders verhält es sich, wenn du (durch Gottes Fügung) plötzlich mehrfacher Millionär geworden bist. Oder deine finanziellen Schulden in Millionenhöhe werden dir einfach so erlassen. Nun bist auch du in der Lage, anderen einige Tausend Euro Schulden zu erlassen.

 

Wir finden in diesem Gleichnis folgendes Prinzip: Nur wer reich ist, kann Schulden erlassen. Bezüglich Vergeben bedeutet das: Nur wer an Gnade reich genug ist – und das sind wir ja (siehe Joh.1:16), kann dem anderen Gnade (auch vor eigenem Rechthaben) gewähren.

In finanzieller Hinsicht heißt das, nur wer ausreichend Geld hat, kann auch welches verschenken, bzw. Schulden erlassen.

 

8. Was würde die Liebe Gottes tun?

 

Epheser 5:1-2

Werdet nun Gottes Nachahmer als geliebte Kinder und wandelt in der Liebe, gleichwie auch Christus uns geliebt und sich selbst für uns gegeben hat…

 

Als Kinder Gottes sollen wir in Liebe wandeln. Das ist etwas anderes, als stur unsere gesetzliche Pflicht abzuarbeiten und festgelegte Regeln zu befolgen. Auftretende Situationen im Miteinander sind zu vielfältig, als dass unser Leben bis ins kleinste per Gesetz geregelt werden könnte. Deshalb haben wir im Neuen Bund nur noch ein einziges Gebot, nämlich in Liebe zu wandeln. Ich nenne es gern: “Gelebte Liebe”. Zu Lieben bedeutet oftmals, in Vorleistung gehen. Jesus sagte, dass wir den anderen so behandeln sollen, wie wir selbst behandelt werden möchten (Mt.7:12). Unser Miteinander ist dabei geprägt von der Beantwortung der Frage: “Was würde die Liebe Gottes tun?” Unsere menschliche Natur hingegen stellt andere Fragen: Wer hat mehr Schuld? Wie komme ich zu meinem Recht? etc.

Bei materiellen Dingen wie Schadenersatz gibt uns das NT keine starre Regel vor, sondern auch hier gilt das Gebot der Nächstenliebe.

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