Kann ein gläubiger Mensch wieder verloren gehen?

Autor: Markus Rex

 

Kann ein gläubiger Mensch wieder verloren gehen? Das ist eine ernste Frage, die wir nicht leichtfertig wegwischen sollten. Zum einen brauchen wir für uns selbst Heilsgewissheit und dürfen uns nicht verunsichern lassen, wenn man uns ein schlechtes Gewissen macht. Zum anderen müssen wir aufpassen, dass wir niemandem, der offenkundig als Sünder lebt, eine womöglich trügerische Sicherheit vermitteln.

Lasst uns zunächst einmal einen Schritt zurückgehen und nach dem Wie bzw. Wann der Errettung fragen. Jesus hat die Erlösung vollbracht, indem er für unsere Sünden gestorben und auferstanden ist. Wer das in seinem Herzen glaubt und den Namen des HERRN bekennt, wird gerettet werden (s. Rö 10,9-13). Das beschreibt eine klassische Bekehrung. Wenn dann noch ein Unterschied von vorher zum neuen Leben mit Christus deutlich wird, liegt die Sache klar auf der Hand. Dieser Mensch ist jetzt ein Christ geworden.

Nicht immer verläuft die Bekehrung aber in einer, nach außen hin, eindeutigen Art und Weise. Viele Leute wachsen quasi in der Gemeinde auf. Gott wird ihnen von frühsten Kindesbeinen an bekannt gemacht und sie haben vielleicht schon etliche Male das Übergabegebet gesprochen. Heutzutage ist es so, dass sich viele Gemeindekinder und manchmal auch Atheisten Schritt für Schritt auf Gott zubewegen. Aufgrund ihres Erlebens würden sie von sich sagen, sie seien allmählich in den Glauben hineingewachsen.

Rein theologisch gesehen ist es natürlich klar, dass es irgendwann einen bestimmten Zeitpunkt ihrer Bekehrung gegeben haben muss. Auf dem Weg zu Gott hin überschreiten sie irgendwann gewissermaßen die rote Linie und sind ab dem Moment errettet. Ab wann sie aber ein wirkliches Kind Gottes geworden sind, bleibt für sie selbst und besonders für Außenstehende oft unklar. Vor allem dann, wenn zwischen vorher und nachher kein gravierender Unterschied in der Lebensweise zu sehen ist (weil sie schon vorher ordentlich gelebt haben).

Römer 10,10 sagt: »Denn mit dem Herzen glaubt man, um gerecht zu werden, und mit dem Mund bekennt man, um gerettet zu werden«. Der Glaube an Gott ist zuerst und hauptsächlich eine Sache des Herzens. Wer zwar das (vielleicht auswendig gelernte) richtige Bekenntnis vor der Gemeinde ablegt, in seinem Herzen aber nicht wirklich davon überzeugt ist, ist auch nicht wirklich gerettet. De facto kann kein Mensch beurteilen, wie es im Inneren einer anderen Person aussieht.

Da sitzen zwei Leute auf der Kirchenbank nebeneinander. Von außen ist vielleicht kein Unterschied erkennbar, doch der eine ist wirklich errettet und der andere ist es nicht. Vielleicht hat sich jemand auf der Straße bekehrt, sucht aber keinen Anschluss an ein Gemeinde und es ist auch sonst in seiner Lebensweise kein Unterschied zu vorher erkennbar. Wie echt war diese Bekehrung. Niemand kann einen anderen Menschen dahingehend beurteilen, ob er tatsächlich errettet ist. Gott allein sieht ins Herz hinein und weiß, ob sich jemand tatsächlich für Christus entschieden hat.

Nun zu der Frage, ob ein Christ wieder verloren gehen kann. Dazu gibt es kontroverse Standpunkte. Kann ein gläubiger Mensch wieder verloren gehen? Wir müssen aufpassen, dass wir bei der Beantwortung dieser Frage weder so noch so (z.B. bei Seelsorge) eine extreme Ansicht vertreten, sondern ausgewogen bleiben. Durch ein überzogenes Verständnis der Gnade und Liebe Gottes wird Sünde schnell verharmlost. Durch übertrieben vermittelte Heiligung kann bußwilligen Menschen der Weg zurück verbaut werden.

Eine Auffassung lautet: Einmal errettet, für immer errettet! Denn Jesus hat gesagt: »Und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie werden in Ewigkeit nicht verlorengehen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen« (Joh 10,28). Außerdem wird angeführt, dass wir doch aufgrund von Gnade gerettet sind und nicht aus Werken. Kein Mensch empfängt das ewige Leben wegen guter Werke, also verliert er es auch nicht wegen schlechter Taten. Und schließlich wird es der himmlische Vater in seiner Liebe ohnehin nicht zulassen, dass eines seiner Kinder wieder verloren geht.

Was ist die Konsequenz dieser Ansicht, wenn wir sie bis zu Ende denken? Was würde es zum Beispiel für die Seelsorge bedeuten, wenn man, erst einmal errettet, nicht wieder verloren gehen kann? Da ist bspw. jemand, der sich nur noch wenig in der Gemeinde sehen lässt und statt dessen immer »weltlicher« lebt. Wenn er nicht verloren gehen kann, sondern auf jeden Fall erlöst bleibt, sieht er vielleicht keinen Grund, seinen Lebensstil zu ändern. Was würdest du ihm daraufhin sagen? Die Konstellation, dass sich Menschen zwar als Gläubige sehen, aber nicht so leben, ist dem NT jedenfalls völlig fremd.

Ich bin der Ansicht, dass ein gläubiger Mensch wieder verloren gehen kann, denn es heißt in Jakobus 5,19-20: »Brüder, wenn jemand unter euch von der Wahrheit abirrt, und es führt ihn einer zur Umkehr, so soll er wissen: Wer einen Sünder von seinem Irrweg zur Umkehr führt, der wird eine Seele vom Tod erretten und eine Menge Sünden zudecken«. Auch Johannes betont diesen Aspekt. »Wenn jemand seinen Bruder sündigen sieht, eine Sünde nicht zum Tode, so soll er bitten, und Er wird ihm Leben geben, solchen, die nicht zum Tode sündigen. Es gibt Sünde zum Tode; dass man für eine solche bitten soll, sage ich nicht« (1 Joh 5,16).

Sollten diese Verse nur vom körperlichen und nicht vom geistlichen Tod (Trennung von Gott) sprechen, was ich nicht glaube, dann liegt die Sache im Hebräerbrief jedenfalls klar auf der Hand. »Denn es ist unmöglich, die, welche einmal erleuchtet worden sind … und die dann abgefallen sind, wieder zur Buße zu erneuern, da sie für sich selbst den Sohn Gottes wiederum kreuzigen und zum Gespött machen!« (Hebr 6,4-6). Und: »Wenn wir mutwillig sündigen … so bleibt für die Sünden kein Opfer mehr übrig, sondern nur ein schreckliches Erwarten des Gerichts …« (Hebr 10,26-27).

Ein Christ kann sich bewusst und aus freien Stücken wieder vom Glauben abwenden. Gott rettet niemanden gegen seinen Willen. Wenn sich eine Person ganz klar für Christus entscheiden kann, dann kann sich dieselbe Person, aus welchen Gründen auch immer, auch klar gegen Christus entscheiden. Gemäß den o.g. Schriftstellen hat sie dann die Sünde zum Tode begangen bzw. absichtlich gesündigt und ist abgefallen.

Neben der bewussten Abkehr glaube ich, dass ein Christ noch auf eine weitere Weise »abfallen« kann, was ich ein langsames Abgleiten nennen will. So wie sich ein Sünder der roten Linie zur Errettung Schritt für Schritt nähern kann, ist es auch möglich, sich dieser Linie andersherum in Richtung Verlorenheit wieder zu nähern. Das NT listet z.B. in Gal 5,19-21, Eph 5,5-6 und Off 21,8 bestimmte Personengruppen auf, die in ihrem aktuellem Zustand verloren sind, d.h. das Reich Gottes nicht erben (und unbedingt Erlösung bräuchten).

In 1 Korinther 6; 9-10 heißt es: »Wisst ihr denn nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Irrt euch nicht: Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Weichlinge, noch Knabenschänder, weder Diebe noch Habsüchtige, noch Trunkenbolde, noch Lästerer, noch Räuber werden das Reich Gottes erben«. Der Vers 11 sagt: »Und solche sind etliche von euch gewesen«.

Dazu muss gesagt werden, dass es sich hierbei nicht um einzelne Tatsünden handelt, sondern um einen entsprechenden Lebensstil. »Und solche sind etliche von euch gewesen« heißt, dass die Gemeindeglieder in Korinth früher genauso gelebt haben – und verloren waren. Dann aber hatte sich ihr Lebenswandel dem Evangelium gemäß verändert. Wenn jemand an das Evangelium glaubt, dann aber immer mehr nach weltlicher Weise lebt, wird er nicht schließlich wieder in seinen verlorenen Zustand zurückfallen? 1 Johannes 3,15 sagt: »… ihr wisst, dass kein Mörder ewiges Leben bleibend in sich hat«. (Bemerkenswert ist, dass hier im Kontext von Lieblosigkeit die Rede ist.)

An dieser Stelle möchte ich ganz deutlich betonen, dass kein Christ »ausversehen« verloren gehen kann. Es ja tatsächlich so, dass niemand wegen einer bestimmten (Tat-) Sünde das ewige Leben wieder verliert. »Denn aus Gnade seid ihr errettet durch den Glauben, und das nicht aus euch — Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme« (Eph 2,8-9). Ausdrücklich wird gesagt: »Aus Gnade … nicht aus Werken!« Das bedeutet, dass sich niemand seine Errettung verdienen kann.
Niemand kommt in den Himmel, weil er etwas Gutes getan hat bzw. »gut« gelebt hat. Und niemand kommt in die Hölle, weil er etwas Schlechtes getan hat bzw. »schlecht« gelebt hat. Eine (oder mehrere) bestimmte Tat (-Sünde) ist also nach der Lehre des NT gar nicht ausschlaggebend. »… dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt! Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten; und er ist das Sühnopfer für unsere Sünden …« (1 Jo 2,1-2). Einzig und allein der Glaube an Jesus Christus entscheidet über unsere Ewigkeit.

Wenn aber jemand permanent in einer sündigen Lebensweise verharrt, kann irgendwann der Punkt erreicht worden sein, wo er »den Sohn Gottes mit Füßen getreten und das Blut des Bundes, durch das er geheiligt wurde, für gemein geachtet und den Geist der Gnade geschmäht hat« (Hebr 10,29). Ab jetzt ist er wieder verloren. Allerdings gibt es wohl kaum einen äußeren Maßstab, an dem wir bei anderen ablesen können, wann dieser Punkt erreicht ist. Das ist allein eine Herzensangelegenheit. Wir können in das Herz eines Menschen nicht hineinschauen. Nur Gott kennt das Herz.

 

Das bringt uns jetzt zu einer weiteren Frage. Kann jemand, der vom Glauben abgefallen ist, wiederum in die Gemeinschaft mit Gott und in die Gemeinde zurückkommen? Es heißt doch im Hebräerbrief: »Denn es ist unmöglich, die, welche … abgefallen sind, wieder zur Buße zu erneuern …« (Kap. 6,4-6). Und: »Denn wenn wir mutwillig sündigen, … so bleibt für die Sünden kein Opfer mehr übrig, sondern nur ein schreckliches Erwarten des Gerichts …« (Kap. 10,26-27).

Ich glaube, es ist nicht so sehr die Frage, ob sie zurück können, sondern ob sie zurück wollen. Die Erfahrung zeigt, dass wer sich in seinem Herzen ganz und gar vom Glauben abgewandt hat, gar nicht mehr zurück will. Warum sollte jemand das Leben mit Christus wieder ergreifen wollen, nachdem er es als unsinnig erachtet hat? Wenn jemand umkehrt, und Gott um Vergebung bittet, würde ich es als ein sicheres Zeichen dafür werten, dass er kein hoffnungsloser Fall ist. Allein dass sich jemand die Frage stellt, ob er (für immer) verloren ist bzw. »die Sünde zum Tode« begangen hat, ist schon Beweis genug, dass er sie nicht begangen hat. Ein wirklich »Abgefallener« stellt sich diese Frage nämlich nicht mehr.

Weil wir von außen kaum beurteilen können, ob jemand (noch) errettet oder (schon) verloren ist, sollten wir (ehemalige) Gemeindeglieder, die nicht christlich leben, zur Buße bewegen und uns bußwilligen Menschen gegenüber so verhalten, dass sie jederzeit willkommen sind. Grundsätzlich sollten wir darauf vertrauen, dass Gott sie wiederherstellen kann. Nicht umsonst heißt es: »Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit« (1 Jo 1,9).

Monat 01-2016 wugffo.de