Müssen Christen für die Sünden ihres Landes Buße tun?
Autor: Markus Rex
Zunächst einmal einige Bibelstellen, die in diesem Zusammenhang oft genannt werden:
Esra 9:6-7
„…mein Gott, ich schäme und scheue mich, mein Angesicht aufzuheben zu dir, mein Gott; denn unsere Missetaten sind über unser Haupt gewachsen, und unsere Schuld ist so groß, daß sie bis an den Himmel reicht! Seit den Tagen unserer Väter bis zu diesem Tag sind wir in großer Schuld…“.
Nehemia 9:33-34
„… denn du hast Treue bewiesen; wir aber sind gottlos gewesen. Und unsere Könige, unsere Fürsten, unsere Priester und unsere Väter haben nicht nach deinem Gesetz gehandelt …“
Daniel 9:5,8
„Wir haben gesündigt und haben unrecht getan und gesetzlos gehandelt; wir haben uns aufgelehnt und sind von deinen Geboten und deinen Rechtsordnungen abgewichen!“
„Uns, HERR, treibt es die Schamröte ins Gesicht, unseren Königen, unseren Fürsten und unseren Vätern, weil wir gegen dich gesündigt haben!“
Die eigentliche Sünde Israels wird in 2. Chronik 36:13-16 zusammengefasst. Kurz gesagt bestand sie darin, dass sie Gott und Seine Propheten permanent ablehnten. Das äußerte sich dann durch allen Übertretungen und Missetaten.
Beachte bei den o.g. Versen. Esra, Nehemia und Daniel waren gerechte Männer unter dem Alten Bund, die nicht selber von Gottes Weg abwichen. Trotzdem haben sie bekannt: „Wir und unsere Väter haben gesündigt!“
Israel war Gottes Volk und sie waren rechtmäßige Mitbürger. Somit haben sie sich mit ihrem Volk, einschließlich aller Sünde, identifiziert.
Bedeutet das nun, dass wir Christen uns genauso mit unserem Land, bzw. Volk gleichstellen und für dessen Fehler geradestehen müssen?
Eine maßgebliche Regel der Schriftauslegung besteht darin, dass wir den Unterschied vom Alten Testament zum Neuen Testament beachten müssen. Wer diesen Unterschied nicht berücksichtigt, kommt in seinem Schriftverständnis zu mitunter groben Fehlinterpretationen. Das kann fatale Folgen haben. Besonders wenn es um die praktische Umsetzung des christlichen Glaubens in der heutigen Zeit geht.
Das Kreuz macht den Unterschied!
Durch die Geschichte Gottes mit den Menschen ist ein Schnitt gegangen. Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen der Zeit vor der Erlösung und der Zeit danach. Dieser Unterschied besteht zum großen Teil darin, dass wir im Neuen Bund eine neue Schöpfung geworden sind und eine neue Identität haben.
2. Korinther 5:16-17
„So kennen wir denn von nun an niemand mehr nach dem Fleisch; wenn wir aber auch Christus nach dem Fleisch gekannt haben, so kennen wir ihn doch nicht mehr so.
Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen; siehe, es ist alles neu geworden!“
Es gibt eine alte Schöpfung und es gibt eine neue Schöpfung. Es gibt den alten Menschen und es gibt den neuen Menschen. Es gibt eine Identität, die sich auf die natürliche Herkunft bezieht und es gibt die neue Identität in Christus.
Jeder von uns hat Eltern, Großeltern – also Vorfahren. Und wir gehören einem bestimmten Volk an. Das ist aber lediglich unsere natürliche Herkunft. Gleichzeitig haben wir auch eine geistliche Herkunft:
Johannes 1:12-13
„Allen aber, die ihn aufnahmen, denen gab er das Anrecht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben; die nicht aus dem Blut, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“
Auf dieser Erde sind wir also geistliche Menschen, die auch eine natürliche Herkunft haben. Jeder Christ hat nun die Aufgabe, sich auf die richtige Seite zu stellen – und dort zu bleiben. Das nennt man Identifikation. Damit haben manche so ihre Schwierigkeiten. Auch wenn sie an Jesus glauben und Ihm von ganzem Herzen nachfolgen, sehen sie sich zuerst als Angehörige ihrer Herkunftsfamilie oder ihres Volkes. Erst danach kommt ihre geistliche Identität in Christus. Eine Folge davon ist, dass sie im guten Glauben richtig zu handeln, für eigentlich fremde Sünden Buße tun. Der biblische Hintergrund dafür kommt aus dem Alten Testament, wo die Gläubigen noch nicht wiedergeboren waren. Für unsere Theologie ist es jedoch maßgeblich, dass wir den großen Unterschied zwischen dem AT und dem NT beachten.
So haben wir im NT keinen Hinweis darauf, dass wir für die Sünden unseres Volkes Buße tun sollen. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Stephanus zum Beispiel. In Apg. 7 berichtet er vor dem Hohen Rat vom Weg Gottes mit Israel und ihrem Widerstreben. Besonders interessant für uns sind die Verse 51-53:
Apostelgeschichte 7:51-53
„Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herz und Ohren! Ihr widerstrebt allezeit dem Heiligen Geist; wie eure Väter, so auch ihr! Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Und sie haben die getötet, die vorher das Kommen des Gerechten ankündigten, dessen Verräter und Mörder ihr nun geworden seid – ihr, die ihr das Gesetz auf Anordnung von Engeln empfangen und es nicht gehalten habt!“
Stephanus identifiziert sich nicht mit den Sünden der Väter seines Volkes, wie es z.B. Daniel tat. Wohl aber den Hohen Rat, die geistliche Führer der Juden seinerzeit.
Beachte einmal den Unterschied. Unter dem Alten Bund bekannten gerechte Männer: „Wir und unsere Väter haben gesündigt!“. Im Zeitalter der Gemeinde hingegen heißt es bezüglich der Sünde: „Ihr und eure Väter…!“
Was ist jetzt anders? Wir lesen das im Epheserbrief.
Epheser 2:15
„…um die zwei in sich selbst zu einem neuen Menschen zu schaffen…“
„Die Zwei“, das sind das Volk Israel und alle Heidenvölker insgesamt. Der „neue Mensch“ ist in diesem Zusammenhang die Gemeinde als neue Menschengruppe. In Verbindung mit 2. Korinther 5:17 stellen wir fest, dass der gläubige Mensch nicht nur individuell eine neue geistliche Schöpfung geworden ist, sondern auch zu dem „einen neuen Menschen“ gehört. Das ist der Leib Christi, bzw. die Gemeinde.
Es geht jetzt aber nicht allein darum, das du rechtlich zur Gruppe „Die Gemeinde“ gehörst. Die alles entscheidende Frage lautet vielmehr: Zu welcher Gruppe siehst du dich selbst zugehörig? Wer bist du in deinen eigenen Augen? Fühlst du dich eventuell noch mehr einem „Heidenvolk“ zugehörig als zur Gemeinde Jesu? Es geht hier also um die Frage, mit wem du dich identifizierst.
(Siehe dazu auch die Predigten von Petrus und Paulus. Selber Juden sprachen sie die Juden an /Apg.3:13-19; Apg.13:27-28. Es fällt auf, dass sie nicht mehr „Wir“, sondern „Ihr“ sagen.)
Die ersten Christen jedenfalls fühlten sich nicht mehr mit ihrer natürlichen Herkunft verbunden, zumindest was die Sünden ihrer Väter anging, denn sie gehörten durch Jesus zu dem „einen neuen Menschen“.